Charlotte Roche: Ihre Arte-Doku über Sex-Rituale startet heute
Denkt man an Charlotte Roche, 41, kommen einem wohl automatisch Themen wie Sex, Körperflüssigkeiten und Penis-Verletzungen durch Staubsauer in den Kopf. Manch einem, der ihren ersten Roman „Feuchtgebiete“ gelesen hat, dürften auch Begriffe wie „Perlenrüssel“ (Klitoris) oder „Sex-Andenken-Kaubonbon“ (Sperma) einfallen.
Denn ja, bei Charlotte Roche geht es schon lange nicht mehr um Musik (sie moderierte ab 1998 die VIVA-Musiksendung „Fast Forward“), sondern um all die Bereiche des Körpers, die für Erregung, Erdbeben und Erleichterung sorgen. Von sexpositiven Feministen und Fans von „kranken Büchern“ – wie sie ihren Roman übrigens selbst bezeichnet hat – gefeiert, bekam die gebürtige Londonerin aber nicht von allen immer nur Beifall.
Egal, Charlotte kennt keine Scham (zumindest nicht in ihren Büchern oder in Talkshows) und ist auch weiterhin für die Befreiung der weiblichen Sexualität und Körperhygiene in der Öffentlichkeit unterwegs. Seit einigen Wochen spricht sie zusammen mit ihrem Mann Martin Keß über ihre Eheprobleme, den Skandal, als ihre Affäre aufflog und den Wunsch nach einer offenen Beziehung. Das ganze nennt sich „Paardiologie“, ist ein 15-teiliger Spotify-Podcast und spielt sich vor den Ohren der Weltöffentlichkeit ab.
Hinzu kommt eine sechsteilige ARTE-Reihe mit dem Titel „Love Rituals“, für die Charlotte in sechs Länder reiste, um kulturspezifische Liebes-Rituale zu erforschen, und die am 28. August startet.
GALA durfte die Moderatorin, die trotz anstrengendem Pressetag kein Zeitlimit für das Gespräch setzte, vorab per Telefon interviewen und erlebte eine äußerst sympathische, lustige und überraschend beschämte Charlotte Roche.
Charlotte Roche: Den Liebes-Ritualen auf der Spur
Gala: Sie waren für „Love Rituals“ in sechs Ländern unterwegs, um Liebesrituale zu erkunden. Ein ganz schön großes Projekt, oder?
Charlotte Roche in Israel
Charlotte Roche in Israel
Charlotte Roche: Oh ja, wir haben drei Jahre lang gedreht. So etwas Aufwendiges habe ich noch nie gemacht. Außer vielleicht ein Kind großzuziehen (lacht).
Wenn man sich die erste Folge in Japan anschaut, wo Sie das Kanamara-Matsuri (dt. „Fest des stählernen Penis“) besuchen, fällt auf, dass auch Sie sich in einigen Situation sehr schämen. Das dürfte einige Zuschauer überraschen.
Ich merke immer wieder, dass viele Leute mich bei diesem Thema total falsch einschätzen. Wegen meinen Büchern ziehen viele den Rückschluss, ich sei schamlos. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Ich schäme mich oft und viel für Sachen, für die man sich eigentlich gar nicht schämen sollte. Ich bin sehr schamhaft erzogen worden – meine Mutter und Großmutter haben mir zum Beispiel erzählt, wie unweiblich es ist, auf Toilette zu gehen. Gegen dieses Schamgefühl bei ganz normalen, menschlichen Dingen muss ich kämpfen. Ich schreibe mir die Scham von der Seele. Man kann Scham auch auflösen, indem man darüber schreibt.
Charlotte Roche beim „Kanamara-Matsuri“ in Japan
Charlotte Roche beim „Kanamara-Matsuri“ in Japan
Welches Ritual war für Sie das Skurrilste während der Reise? Ist das Penis-Fest weit oben mit dabei?
Vom Schämen her war das Penis-Fest auf jeden Fall weit vorne. Das war einfach so absurd, weil da ja echte Priester und Mönche mit diesen übergroßen Penissen durch die Straßen gezogen sind und das vollkommen ernst gemeint haben.
In Kenia wird eine Mitgift-Zeremonie abgehalten
In Kenia wird eine Mitgift-Zeremonie abgehalten
Richtig verrückt fand ich auch die Mitgift-Zeremonie in Kenia. Da kommen dann die beiden Familien der Ehepartner zusammen und verhandeln vor der Hochzeit über das ganze Leben der beiden – bis zu dem Zeitpunkt, in dem sie sterben. Wie viele Ziegen und Kühe muss die Familie des Bräutigams zum Beispiel an die Familie der Braut zahlen, wenn die ein Kind bekommt? Diese Mitgift-Zeremonie ist dort so groß wie die Hochzeit selbst und dauert Stunden. Das war sehr spannend.
Gibt es ein Ritual, das Sie nachhaltig beeindruckt hat und das Sie vielleicht auch für Ihr Privatleben mit nach Deutschland gebracht haben? Also natürlich nicht das Penis-Fest oder die Mitgift-Zeremonie …
Nein, die nicht (lacht) … Aber wir haben in New Orleans eine sehr gruselige Folge gedreht, bei der Voodoo eine große Rolle gespielt hat. Bei diesem Liebesritual beschwört man einen weiblichen Geist und tanzt sich in Trance. Dabei habe ich eine Voodoo-Priesterin kennengelernt, die mir zwei Figuren geschenkt hat. Das hat mich so berührt, dass ich diese Figuren behalten habe und nun in meinem Schrank lagere. Ich bin zwar nicht esoterisch, aber ich kann das ja nicht wegschmeißen, sonst wird man am Ende noch verfolgt… Wer traut sich schon, etwas wegzuschmeißen, was man von einer Voodoo-Priesterin bekommen hat?
Charlotte Roche reiste für ein Voodoo-Ritual nach New Orleans
Charlotte Roche reiste für ein Voodoo-Ritual nach New Orleans
Kreativität und Phantasien in der Ehe
Wie wichtig ist Ihnen persönlich Kreativität in der Liebe, besonders nach zwölf Jahren Ehe?
Die ist sehr wichtig, sowohl in der Liebe als auch in der Sexualität. Das ist ja die große Herausforderung in einer langen Beziehung – dass man für den Partner interessant bleibt, menschlich, aber auch sexuell. Viele Paare probieren mit der Zeit immer mehr aus, weil der Sex langweilig wird. Bei meinem Mann Martin und mir war es aber umgekehrt. Wir haben am Anfang viel ausprobiert und dann immer mehr sein lassen.
Ich tue mich jedoch sehr schwer damit, Phantasien oder auch Träume zu formulieren. Wenn mich Martin fragt, was ich gerne mal ausprobieren würde, bin ich total gelähmt und kann nicht mehr sprechen. Das würden natürlich jetzt auch wieder die meisten Leute nicht von mir erwarten. Aber wenn ich Romane schreibe, ist das was anderes. Wenn ich über Sex schreibe, finde ich Worte für etwas, das in mir wortlos ist.
Wenn ich fragen darf, welche Phantasien finden Sie denn eher ab- als antörnend?
Ich habe eine totale Abneigung gegen Verkleidungen und so „Fifty Shades of Grey“-Sado-Maso-Kostüme. Aber auch Rollenspiele, wo man sich als Stewardess oder so verkleidet. Dann fühle ich mich wie im Kölner Karneval und muss die ganze Zeit lachen. Auch bei Sex-Stellungen ein Buch durchzuturnen, ist nicht meins. „Die fliegende Ente“ oder „Die singende Nachtigall“ – da lache ich mich kaputt. Wechselnde Stellungen sind gut, aber nur dann, wenn sie keinen Namen haben.
Private Beziehungseinblicke in „Paardiologie“
In Ihrem Podcast „Paardiologie“ werden auch sexuelle Kompromisse thematisiert. Tun Sie nach wie vor Dinge, die Sie eigentlich nicht so toll finden?
Bei mir und Martin gab es am Anfang unserer Beziehung viele Kompromisse. Ich habe sehr viel ihm zuliebe mitgemacht – nicht gegen meinen Willen, aber ich war so übermäßig in Martin verliebt und ihm fast schon hörig. Ich habe in meinem übermäßigen Liebeseifer alles mitgemacht und ihm jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Ihn trifft da keine Schuld. Ich bin einfach so überzeugend, dass er denken musste, ich sei ein Riesen Fan davon.
Erst nachher habe ich gemerkt, dass vieles gar nichts für mich ist und dann konnte ich ihm das auch sagen.
Charlotte Roche mit ihrem Mann Martin Keß
Charlotte Roche mit ihrem Mann Martin Keß
Durch den Podcast darf man Martin jetzt zwar hören, aber immer noch nicht sehen. Ist Ihnen das nach wie vor wichtig?
Irgendwann wird sich sein Aussehen nicht mehr verbergen lassen. Wir werden bestimmt mal einen Live-Podcast vor Publikum machen und dann kann man ja den Leuten nicht ihre Handys wegnehmen. Also wir wissen, dass es irgendwann dazu kommt. Aber zum Drangewöhnen ist der Podcast für Martin ganz gut.
Darauf freuen sich sicherlich schon viele. Obwohl diese Fotos, auf denen sich Martin etwas vors Gesicht hält, schon sehr witzig sind …
Mittlerweile wissen selbst unsere Freunde nicht mehr, wie Martin aussieht (lacht). Wenn ich mit einer Freundin facetime und dann zu Martin schwenke, macht er immer als Scherz ganz schnell etwas vors Gesicht.
Sie haben vor dem Start des Podcasts gesagt, dass es Ihr Ziel ist, durch den Podcast eine offene Beziehung zu bekommen. Wie weit ist dieser Plan nach fünf Folgen? Ist das Thema zwischen Ihnen schon geklärt?
Ganz klar Nein, es ist überhaupt nichts geklärt. Ich habe in der vorletzten Folge offengelegt, wie oft ich bereits fremdgegangen bin. Aktuell sind wir auf „Hold Back“. Wir ziehen uns also mit diesem Thema etwas zurück, denken darüber nach, fühlen nach und sortieren uns neu.
Erst jetzt, wo wir den Podcast aufnehmen, merken wir, dass wir eine vollkommen unterschiedliche Auffassung von einer offenen Beziehung haben. Es nützt nichts, wenn man sich als Paar dazu entscheidet, eine offene Beziehung zu führen, man muss sie vorher genau definieren und die Regeln klären. Eine offene Beziehung bedeutet nicht automatisch Anarchie. Es gibt natürlich Dinge, die der Partner ablehnen kann, wie zum Beispiel, dass man neue Personen ins eigene zu Hause mitbringt. Man muss die Frage klären, welche Situationen der andere als bedrohlich für die Ehe empfindet und das ist manchmal richtig kompliziert.
Tochter Polly wird Model
Ein Tabu in dem Podcast sind die Kinder. Ihre Tochter Polly findet aber mittlerweile immer mehr in der Öffentlichkeit bzw. auf Instagram statt. Wenn man sich ihre Fotos dort anguckt, bekommt man den Eindruck, sie möchte Model werden.
Ja, sie modelt. Sie ist bei der Modelagentur „Le Management“ in Hamburg. Ich unterstütze sie bei allem, was sie machen möchte.
Charlotte Roche mit ihrer Tochter Polly
Geben Sie ihr auch Tipps für das Leben in der Öffentlichkeit?
Das brauche ich nicht. Sie kann damit schon besser umgehen als ich, besonders was Instagram angeht. Ich bin ja nicht wie sie damit groß geworden und mit 41 eigentlich schon eine Insta-Oma. Also sie hilft mir und weiß auch mit Hater-Kommentaren schon perfekt umzugehen. Sie sagt immer „Mama, Beyoncé bekommt auch so viele Hass-Kommentare, sie sei dick oder hässlich. Aber weißt du, warum die das schreiben? Weil Beyoncé die schönste Frau der Welt ist“. Also, was soll ich ihr noch beibringen?
Vierter Roman kommt!
Letzte Frage: Ihr letzter Roman „Mädchen für alles“ liegt vier Jahre zurück. Ist etwas Neues geplant?
Ja, ich habe dieses Jahr Abgabe. Mein viertes Buch erscheint nächstes Jahr. Aber natürlich darf ich noch nichts verraten, sonst werden meine Ideen geklaut.
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